kafka der bau (villa rot 12.06.2022 - 25.09.2022)
kometenschauer butterweg 1 I und II, 2019
die bilder stellen sich gegenueber der eng und questellung der virtinen als etwas wie einen aussenpol dar. der offene himmel. hinter ihnen allerdings ein verstellter, zugebauter tuerspalt. ein art subraum hinter oder unter der transzendenz. (ein versteck fuer kinder (die nicht in die vitrinen gucken koennen, ohne hochgehoben zu werden)).
malerei ist eine verdeckung. die rueckseite einer beruehrung (das, was man mit dem pinsel, spachtel, der hand oder sonstigem geraet beruehrt, wird von der beruehrung selbst verdeckt). die spur, die diese beruehrung hinterlaesst, schuetzt quasi die so verborgene intimitaet. gleichzeitig markiert die verdeckung eine stelle, die, obwohl eben das dahinter liegende verborgen wird, als stellenbewusstsein selbst die topographie, die landschaftlichkeit dieser unsagbarkeit, wie eine stelle in einer karte, markiert/einzeichnet.
[in dem diptychon kometenschauer/butterweg) geht es um eine landschaftliche erfahrung. butterweg 1 in steinhagen war die adresse des hauses, in dem ich aufgewachsen bin. ein langer schmaler weg zog sich vom teutoburger wald hinunter in die ebene. drumherum nur felder und kleine waldstücke. mein vater bringt uns zur ecke, wo dieser asphaltierte geradlinige strang vom berg her in den kleinen schotterweg, der zu unserem haus fuehrt, abknickt. es ist sommer und tiefe nacht. wir gucken nach sternschnuppen (dem perseidenschauer, glaube ich). das allumfassende dunkel beeindruckt mich. und dieses grenzland, wo unser haus auf die umgebung trifft, man den berg und eine gewisse weite sieht. der schwarze asphalt mit kleinen feinen rissen, der sich dunkel von den etwas heller leuchtenden feldern absetzt. der schwarze himmel, in dem die sterne wie loecher in einer plane kleine glanzlichter setzen. die idee vom nichts, vom unendlichen, vom leeren - die eleganz des todes, der entropie, der sinnentleertheit, die mir als kind, doch auch angenehm schaudrig, einstroemt. kleine streifen der kometen – in all dem nichts, spuren, wie tiere.
vitrinie #1
"Von aussen ist eigentlich nur ein grosses Loch sichtbar, dieses fuehrt aber in Wirklichkeit
nirgends hin, schon nach ein paar Schritten stoesst man auf natuerliches festes Gestein."
2 polystyrolquader, 3 glasscheiben (mit sockelspuren), zeichnung 0911_07 bifurkation (~treibgut block vi tragwerk #135), glaslampenschirm, 2 kugelgelenke, wandhalterung für saeulenlautsprecher, 2 pingpong baelle (innen/weiß und aussen/orange), plastikvitrinendeckel, schmuckstueck
eine art diagramm, das von rechts nach links gelesen auf den leerraum zwischen den pingpong baellen durch eine art parkur fuehrt. (der parkur wie der eingang eines/des baus.) hindernisse, unter den glasscheiben durch, ein durchsichtiger filter, eine art sich teilender bau, eine bifurkation einer roehre oder eine art hohle astgabelung auf der zeichnung, abgefangen, geblockt von dem offenen glaszylinder des lampenschirms, der leere zwischenraum zwischen den ping pong baellen, darin ein verlorener glasdiamant von einem ohrring oder ring - ein paradoxer unmoeglicher weg, eine art doppelte transzendenz, ein überschlag, double bind, doppel antinomie. gegensätze zwischen durchsichtigen beschraenkungen, pressungen und dunklen opaken abgeschlossenen hohlraeumen und grenzflaechen. innen und außen, durchsichtig und verborgen, la demeure (die bleibe) - il y a peril en la demeure (es ist gefahr in verzug). die vitrine - die objekte hinter glas: das vitrinenglas schließt den schmuckdiamanten der offen auf dem ping pong ball liegt noch hinter seiner glasscheibe ab, gleichzeitig kann er dort nur liegen, weil der ball durch die scheibe eingedrueckt ist. das display als ent-spielung.
eine art doppelter sturz/überschlag einer rettung vor der irre durch die irre, rettung vor der leere des lebens (und der gefahr des sterbens) durch eine identifikation mit seiner sinnentleertheit selbst, den tod als imaginaerer aber realer identifikationsort der eigenen endlichkeit, aber auch der endlichkeit der beschreibbarkeit selbst, die blanchot als kafkas modus operandi beschreibt:
"Und dennoch, in dieser Gegend, wo die Bedingungen eines wahren Verbleibs fehlen, wo man in einer unverstaendlichen Trennung leben muss, in einer Aussschliessung, von der man in gewisser Weise ausgeschlossen ist, in dieser Gegend, die jene der Irrung ist, da man dort nur endlos umherirrt, besteht noch eine Spannung, die Moeglichkeit selbst, zu irren, bis ans Ende der Irrung zu gehen, sich einem Ende zu naehern, das was ein Wandern ohne Ziel ist, in die Gewissheit des Ziels ohne Weg zu verwandeln." S.74
vitrine #2
"Zugeben aber will ich, dass darin ein Fehler des Bau liegt, wie ueberhaupt immer ein
Fehler ist, wo man von irgend etwas nur ein Exemplar besitzt."
2 demontierte kacheln mit spachtelresten, 2 geloecherte metallverstaerkte papierkarten mit verwitterungsspuren (zusammen verwittert), 0321_23 incorporation (objekt, haarklammer, silikonbeutel, mettalbogen, schaumstoff, plastikschale), schlacke, metallbuegel, tierschaedel
eine erotisches komoedie. gegenueberstellung von verwandten aber nicht-identischem, vergleichbarkeiten provozierend, die sich von ihren differenzen nicht erholen koennen. die beiden kacheln mit verschiedenen abschlagspuren, die beiden karten, obwohl gleichzeitig verwittert mit verschiedenen malen, die haarklammer und der metallbuegel, schaedel und schlacke. ein springendes auge, wie das besorgte tier, im inneren des baus, an ewigen vergleich, abgleich und erweiterungs sehnsucht gebunden, nicht in die verborgenheit versenkt - besitz/lust als transitorisches vehikel, ueberschreitungsinduzierend - ein abprallen der beschreibungsinstanzen: stimmt die form ungefaehr (schaedel und schlacke), stimmt das material nicht; stimmt das material (haarklammer und metalbogen) stimmt die form nicht usw...
haarklammer und metallbogen zeigen zwei verschiedene gebaeudeprinzipien (haarklammer, schachtel/sark und metallbogen, 3 auflage punkte.) vgl. thomas bernhard die korrektur: "Zur stabilen Stuetzung eine Koerpers ist notwendig, dass er mindestens 3 Auflagepunkte hat, die nicht in einer Geraden liegen, so Roithamer."
schaedel und schlacke verweisen auf transformation und endlichkeit. schlacke ist eine glaskristallisation die bei der eisenerz verarbeitung entsteht/uebrigbleibt. glasartig, aber schwarz; der knochen (des schaedels), weiss, ehemalig lebend, aber nur noch huelle, abgewandt auch, wie die schlacke undurchsichtig, blicklos.
vitrine #3 /objekt
"Damals als ich den Bau begann, konnte ich dort noch verhaeltnismaessig ruhig arbeiten, das
Risiko war nicht viel groesser als irgendwo sonst, heute aber hiesse es fast mutwillig auf
den ganzen Bau aufmerksam machen wollen, heute ist es nicht mehr moeglich."
0420_09 zimmer confinement_re il y a peril en la demeure_07, roter faden, 2 metallkupplungen m2
eine radierung einer zeichnung aus einer serie zum thema confinement, entstanden waehrend des lockdowns. reflektion ueber il y a peril en la demeure (es ist gefahr in verzug): der parallele, ueble strang der kunst, sich in den biographischen unsagbarkeiten/unbearbeitbarkeiten mit den naegeln ein zu graben und sie selbst mit zu ziehen - wann immer sie sich in die kunst hinein loesen, verfestigen sie sich auf der rueckseite und ihre anwesenheit in einem.
"The french expression means literally either that there is peril in your home or that there is a peril/danger staying - as Demeure translates both as dwelling and as a verbial remaining. So in a way Art could be seen as this pathological condition of clinging to the peril, to a desctructive disconnect with the functional or with a positivity (of meaning). In this way this this concept is about a crisis or a depressive, destructive aspect of working on art - to not be able to shake the untellable, underlying meanings by expressing them, but to develop a parallel strain of ever deepening the relation with them. But the other part is that - as suggested in the juristical term of Il Y A Peril En La Demeure (Es ist Gefahr in Verzug, Imminent Danger) - there is an entity legitimately entering the intimate space, normally off limits for it, because there is the danger of loosing evidence. The audience, the recipients, the public is doing in Art what in juristical terms would translate as a legitable transgression of jurisdiction - they behold and keep the otherwise lost, in which the Artist is ensnared. So for me it was a bit of a revelation to notice, that in order to work, keeping the peril valid, to stay (demeure) in working on Art, it is necessary to trust in the transgression of the Other to take what you have done."
vitrine #4
"Und ich reisse mich los von allen Zweifeln und laufe geradewegs bei hellem Tag auf die
Tuer zu, um sie nun ganz gewiss zu heben, aber ich kann es doch nicht, ich ueberlaufe sie
und werfe mich mit Absicht in ein Dornengebuesch, um mich zu strafen, zu strafen fuer eine
Schuld, die ich nicht kenne."
teleskopstange eines lautsprecherstativs, grauer schaumstoff quader, 2 brotmesserklingen ohne griff, 2 daeumlinge, pappe, pappform (gravitations, gewichts, schuldzeichen), holzstueck, kupferform, 2 holzzapfen aus einem kuechentisch, 2 pinnadeln, plastikform, glasgefaess mit toten bienen, 2 bleistuecke, umgestuelpter kreisel (aus einem festplattenachse) auf filzplaettchen
der grosse schieber (die teleskopstange) umklammert eine art bezugssystem. die schnuersenkel wie diagrammatische bezuege. die messer - verletzungs/selbstverletzungssymbol, gehuellt in die daeumlinge, die kindern die zu lange am daumen lutschen umgebunden werden, um ihnen die schlechte angewohnheit (das autoerotische) auszutreiben. darunter ein gravitations und schuldzeicheichen. an den extremitaeten, die verweise der schnuere: a) rotunde (berlin, zirkularsystem, zentrifuge (kreisel) zentrumslose ringstadt, confinement (holzstueck), artefakte von einem berliner kuechentisch (c); b) gesammelte tote bienen aus jueterbog (studio) - die bienen finden irgendeinen eingang (durch ein belueftungsloch im backstein bau), finden aber nicht mehr heraus - jedes jahr aufs neue finden wir eine anzahl auf dem fensterbrett, nach innen gefluechtet, die nicht mehr rausgefunden haben. hoehlenforscher, die nicht zurueckgekehrt sind...
vitrinen wiederum sind wie kleine raeume, in denen zu wohnen man sich aber nur vorstellen kann. man muesste sich auf ihr mass verkleinern.
man koennte sich buden vorstellen, die kinden aus den polstern der sofas, den decken der betten untern den tischen der erwachsenen bauen. gemach aus protest gegenueber den proportionen und konditionen der erwachsenenwelt. als rueckzugsort und waechter von geheimnissen, die kinden zum spielen brauchen - sie entsprechen nicht der logik und topographie des moebiliars. sie bilden quasi eine uebersetzung in eine andere raumproportion und semantik.
in den vitrinen, die wie eine herde aus stoerrischen tieren quer im raum stehen, finden sich kleine allegorien, denkbilder zum bau von kafka. sie spielen mit einer verfremdung der funktionalen aspekte der dinge. als ob in jedem ding eine stimme verborgen waere, die das scheitern seiner funktion mit erwaehnt - man denke an einen hammer, dessen taille und riffel am schaft nicht nur auf eine ergonomische erfindung, eine geschichtliche progression verweisen, sondern auch auf diese bestimmte erfahrung des erfinders selbst: "verflucht, er rutscht mir staendig aus der hand!"
vitrinie #5
"Ich druecke vorwaerts mit allen Kraeften und es geht auch, aber mir viel zu langsam; um es
zu beschleunigen, reisse ich einen Teil der Fleischmassen zurueck und draenge mich ueber sie
hinweg, durch sie hindurch, nun habe ich bloss einen Teil vor mir, nun ist es leichter..."
2 polystyrolquader, springreverb, temperaturausgleichsfeder, lederkompresse, schwarze schaumstoff form, zeichnung auf weiss beschichteter melaminpressspanplatte
bewegungen in begrenzungen, feder spannungen. federhall (springreverb), tunnel in den federn, gespannte bewegung, klemme, klemmen, die beute (lederkompresse), verwicklungen, einwicklungen (historiotypien)
"In dieser ersten Nacht dahinzuschreiten ist jedoch keine leichte Bewegung. An eine solche Bewegung erinnert die Arbeit des Tieres in Kafkas Bau. Man sichert sich darin mittels solider Abwehrmechanismen gegen die obere Welt ab, doch man setzt sich der Unsicherheit des Darunterliegenden aus. Man baut nach Art und Weise des Tages, doch unter der Erde, und was sich erhebt, versinkt, was hervorragt, wird beschaedigt. Je solider der Bau nach aussen geschlossen erscheint, desto groesser ist die Gefahr, dass man darin der Gefahr ohne Ausweg ausgeliefert ist, und wenn jede aeussere Bedrohung von die vollkommen geschlossenen Intimitaet abgewendet scheint, dann ist es die Intimitaet, welche zur bedrohlichen Fremdheit wird, dann zeichnet sich das Wesen der Gefahr ab... Wer die erste Nacht betreten hat und unerschrocken danach strebt, zu seiner tiefsten Intimitaet zu gelagen, zu Wesentlichen, zu einem gewissen Moment, vernimmt die andere Nacht, vernimmt sich selbst, vernimmt das ewig widerhallende Echo seines eigenen Schrittes, seines Schrittes hin zur Stille, doch das Echo schickt sie ihm zurueck als fluesternde Unermesslichkeit, hin zur Leere, und die Leere ist nun die Anwesenheit, die ihm entgegenkommt... Man muss sich folglich von der ersten Nacht abwenden, das ist zumindest moeglich, man muss am Tag leben und fuer den Tag arbeiten. Ja, das muss man. Doch fuer den Tag arbeiten bedeutet, am Ende die Nacht zu finden, bedeutet dann, aus der Nacht das Werk des Tages zu machen, aus ihr eine Arbeit zu machen, einen Verbleib, es bedeutet, den Bau zu graben und den Bau zu graben bedeutet, die Nacht der anderen Nacht zu oeffnen. Das Wagnis, sich dem Unwesentlichen hinzugeben, ist selbst wesentlich. Ihm zu entfliehen bedeutet, es sich an die Ferse zu heften, es ist dann der Schatten, der einem immer folgt und immer vorausgeht." Maurice Blanchot, Der literarische Raum, S.174
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