Spem in Alium (Hoffnung auf einen Anderen)
Kunst braucht den Anderen. Den aufgeschlossenen Fremden, der mit seinem offenen Blick das Unsichtbare des Kunstwerks entgegenzunehmen versteht; den Freund, der das heimatlose Exil, die Suche nach der Sprache, dem richtigen Wort, als geteilte Freude empfindet; die Geliebten, die die Quelle für ein unerschöpflich verlockendes Rätsel sind und mit ihrer Gastfreundschaft im Suchen Rast bieten; schließlich die Geister, die das Kunstwerk mit dem Geheimnis versorgen, das es beseelt und in den Raum des Materiellen einführt.
Im Kunstwerk flüstern uns die Gegenstände etwas zu, das ihren Weckruf zur Funktion übersteigt. Noch der Hammer beherbergt jenseits seiner rein funktionalen Dienlichkeit die Spuren der in Vergessenheit geratenen Handwerker, die ihm die leichte Ausbuchtung seiner Grifftaille vor Jahrhunderten oder Jahrtausenden verschafft haben. In den Gegenständen wohnt ein Fetisch, etwas Symbolisches, das uns eine unbekannte Melodie vertraut und nah erscheinen lässt, ein rätselhaftes fremdes Bild als Zeichen und Mal.
"Spem in Alium" ist ein 40-stimmiges Chorwerk von Thomas Tallis aus dem 16. Jahrhundert. In den Konsonanten-Kollisionen der Stimmen, in der Reibung der Laute bei den Wortwechseln, entbirgt sich ein Abgrund, eine Brüchigkeit der Sprache. Aus ihr wird ein amorphes Material, aus der Vielzahl der Stimmen ein gespenstisches Geraune. Diese Entfremdungssituation gegenüber der Stimme und der Sprache bildete den Ansatzpunkt für diese Ausstellung.
In den zwei Videoarbeiten führe ich zwei einfache Handlungen aus: In einem Video grabe ich ein Loch, in das ich selber verschwinde, in dem anderen zünde ich Zigarettenpapierchen an, die mal in die Höhe fliegen und mal nicht. Die Videos sind eingebaut in eine Konstruktion, eine Art Diorama oder Display, die die Bild- und Tonerzeugung von der Abbildungsoberfläche trennt: die Augen, der Blick des Anderen - ein schwarzes Loch und hinter den Pupillen eine verborgene, unzugängliche Welt. Die Trennwände aus mit Umzugsdecken bespannten Panelen drängen sich in den Raum und suchen architektonisch/skulptural sein Volumen neu zu bestimmen. Wie das Loch graben und das Papierchen fliegen lassen versuchen sie, den unsichtbaren Anteil des Raumes spürbar zu machen.
Der die Videoarbeiten begleitende Sound verweist auf eine technische Dimension der Entfremdung. Eine verlangsamte und digital verfremdete CNC-Fräse und die Computerstimme eines Bildschirmleseprogramms stehen für die Suche nach einem Verschiebungseffekt gegenüber der gewöhnlichen deskriptiven Sprache und Emotion.
100 Zeichnungen, über den Galerieraum verteilt, bieten einen Einblick in einen intimen künstlerischen Produktionsprozess. Unter ihnen finden sich Gesprächsnotizen, Abstraktionen kartographisch anmutender Gesten, Protokolle tektonischer Verschiebungen einer Landschaft. Sie verweisen auf Themen, Menschen, Adressierungen, die dem Betrachter notwendigerweise unzugänglich bleiben: Ihre Spuren(ver)zeichnung verweist vielmehr auf einen Erinnerungsprozess, ein Andenken an den Anderen, auf einen verschollenen, abwesenden Dritten.
Die vier großformatigen Bilder schließlich verarbeiten das malerische Thema der Verdeckung und Schichtung, entsprechend einer Metapher des Historischen, als Überlagerung und Sedimentierung einer Reihe vergangener Gegenwärtigkeiten, die dem Bild implizit sind, an der Oberfläche aber unsichtbar bleiben.