kamilhan (la demeure, il y a péril en la demeure II)
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Ernst Bloch: "...ich wollte mit 15 jahren eine kleine oper schreiben nach dem ...märchen die höhle im stienfohl, die sollte kamilhan heißen, das ist ein wort, das einem fischer jeden abend ins ohr geflüstert wird, scheint aber immer das selbe zu sein, er kanns nie verstehen, also kurzan annähern von worten die unverständlich sind. und so erschien mir musik wie ein heißen lallen von einem kind, das gerade anfängt zu sprechen. es ist ja eine ganz junge kunst die mehrstimmige musik, 400 jahre alt und hat ihre sprache, ihre poesis per se noch nicht gefunden. jeder glaubt sie zu verstehen und niemand weiß was es bedeutet. was ist denn nun die musik, nicht, in ihrer gestalt, in ihrem ausgetragen sein. also so spielte die musik die rolle eines organons im utopischen gewissen."
aus interview, ernst bloch mystik und hoffnung, 3sat https://www.youtube.com/watch?v=LaKCXdE93KQ

excerpt of visuals (0719)

Kamilhan (la demeure/il y a péril en la demeure)

Kamilhan ist ein Wort, das Ernst Bloch in einer Anekdote erwähnt. Als Junge, so erzählt er, sei er oft zu den Matrosen im Hafen gegangen, hätte sie beobachtet und belauscht. Das Wort Kamilhan ist ihm bei einer dieser Exkursion sozusagen zugeweht worden und hat ihn vom Klang her fasziniert, ohne, dass er je herausgefunden hätte was es tatsächlich bedeutet. Wenn Worte als Kind in der Wiederholung so einen materialistischen Klang erfahren (man murmelt sich im Geiste das Wort immer wieder vor, bis es seine Sinn komplett verliert) kristallisiert sich eine Doppelbödigkeit der Sprache: einerseits ein Mittel der Verständigung, der Selbstbeschreibung, dem Subjekt zugänglich und von ihm kontrollierbar, wie ein Werkzeug, andererseits nur aus der unaufklärbaren Geschichte entliehen, eine fremde Stimme in der eigenen. Die Geschichte von Bloch hat mich an eine Begebenheit aus meiner eigenen Kindheit erinnert, bei der ich mit dem Fahrrad einen langen Feldweg nach Hause von der Grundschule fahre und in den Gegenwind singe, in einer Sprache, die bedeutungslos den Klang des Englischen, das mir aus den Radiolieder vertraut war, nachahmt. Die auf dem Album prominent vertretenen Computerstimmen rekurieren auf diese Erfahrung, oder dieses Sprachgefühl. Silben und Phrasen, die an Worte erinnern aber ihre Bedeutung unentschlüsselbar lassen.

la demeure / il y a péril en la demeure
...dabei geht es um eine Verhandlung von Intimität und Öffentlichkeit. Die Bleibe (la demeure), das ist der Schutzraum, das zu Hause, die Sammlung, die einen der Andere in einer Gastlichkeit eröffnet. Levinas, ein französicher-litauischer Philosoph, der großen aber eine breiten Öffentlichkeit meist verborgen bleibenden Einfluss auf die poststrukturalistische und post-phänomenlogische Philosophie Frankreichs nach 45 hatte, beschreibt in Totalität und Unendlichkeit (1961) wie wir von dieser gastfreundschaftlich gespendeten Sammlung die Welt entdecken und nicht, wie die Theorie das oft suggeriert in einem halzbrecherischen Sturz aus einem quasi interstelaren Raumes der Reflektion. Bei der Metapher der Bleibe geht es mir also um die Spur, die diese Milde Gastlichkeit des Anderen, die Einladung in ein Haus, in der Konstruktion und Konstitution des Subjekt hinterlässt. Die Arbeit, die das Subjekt vollzieht, die Ökonomie der Sammlung, in dem das Subjekt sich in Tauschgeschäfte mit Dritten um die Einrichtung (Algaber, Algebra) in dieser Bleibe bemüht, bleibt gleichzeitig durchzogen von dieser Ermöglichung, dieser Gabe der Mitte der Welt. Kunst, habe ich gedacht, könnte demgegenüber genau eine nicht-ökonomische Arbeit sein, dessen Motiv nicht die Einrichtung, sondern, aus der Entfremdung eine Exils sprechend, die Zuwidmung zu dieser Spur der (positiven) Schuld gegenüber der Ermöglichung durch den Anderen wäre - der Versuch (oder die Arbeit daran) dieser vorgelagerten, verloren gegangenen Schenkung/Eröffnung ein Recht zu kommen zu lassen.

Bei Il y a péril en la demeure hingegen handelt es sich um einen juristischen Terminus, der im Deutschen "Gefahr in Verzug" genannt wird und der das Recht einer nicht zuständigen Behörde oder Person konstituiert in den geschützten Bereich der privaten Wohnung einzudringen, um zu verhindern, dass ein (gerade sich im Gang befindliches) Verbrechen geschieht, oder um ein Beweismittel zu sichern, das ansonsten verloren gingen. Diese Zeugenschaft ist, wenn man die juristische Definition ein wenig poetisch ausließt, die Bedingung dafür das Werke und Leistungen des Menschen nicht in einer Intrinsität des Archivierten, gesammelten versinken. Kunst steht in dieser Gefahr, wenn man sie als Erinnerungs- und Eindenkensarbeit in die Tranzendenz des Anderen betrachtet, sich an der Unsagbarkeit dieser Spur abzuarbeiten und dabei in einen infiniten Regrezz der Unsagbarkeit zu verfallen, wenn nicht die Öffentlichkeit oder besser ein Anderer aus der Fremde in einem Reflex zu dieser Arbeit, eine Anerkennung ausspricht, d.h. diesen Werken von sich aus eine Bedeutung zuspricht. Ohne dass dieser dabei die Unsagbarkeit, die sozusagen die innere Integrität des Werkes darstellt, in eine Sagbarkeit überführen könnt, geht es bei seiner Nicht-Zuständigkeit gerade darum, dass aus dem subjektiven Raum der Bedeutungsarbeit, die man in der Kunst leistet, dem Werk ein Urteil von einer ganz anderen Stelle, innerhalb eines neutralen Raumes gegenübertritt: der Fremde kommt und restituiert zugleich seine eigene Unausprechlichkeit, wie die des gegenübers im Kunstwerk, indem er aus der Unsagbarkeit im Werk eine eigene Assoziation mit seinen eigenen unsagbaren Verfolgern konstituiert.